Rezensionen
TRASH MEETS KULTUR
Romy Weimann in: akt - Kölner Theaterzeitung (02/13)
Die aberwitzige Verwechslungskomödie "Die deutschen Kleinstädter" von August von Kotzebue um dörfliches Spießertum wird von theater24 und Strahlern im Kunsthaus Rhenania mit viel Musik, Tanz und sehr überzeugenden Schauspielern gezeigt - Trash als kultureller Hochgenuss.
Krähwinkel. Zwei Hauptstraßen, die sogar gepflastert sind, drei schöne Kirchen und eine anmutige Promenade, die zum Friedhof führt. Und wir dürfen einem zeremoniellen Höhepunkt beiwohnen: Die Dorfgemeinde hat ihren 2000sten Bewohner hervorgebracht und soll nun endlich zur Stadt ernannt werden. Unter Girlanden, Lichterkette und Wahrzeichen (eine Krähe) sitzen wir in U-Form um den Ort des Geschehens, werden mit Kaffee, Kuchen und Dorfgetuschel einbezogen.
Dabei ist August von Kotzebues satirische Komödie "Die deutschen Kleinstädter" von 1803 doch ein bitterböser Angriff auf die spießige Dörflermentalität. Verpackt in eine Verwechslungskomödie, verleihen vor allem die detailliert ausgeklügelten Charaktere der Geschichte ihren Reiz. Um jeden Preis Etikette wahren, pedantisch am Rechtssystem festhalten und immer schön mit Titeln protzen - diese Stereotypen haben viel komisches Potential. Stoisch nennen sie sich Frau Unter-Steuer-Einnehmerin und Herr Bau-Berg-und-Weg-Inspektors-Substitut, trotz gelegentlicher Verhaspler. Allen voran sind der zukünftige Bürgermeister und Schwester Obrigkeitsbuclder par excellence. Beim bloßen Anblick des ministeriellen Siegels auf einem Brief gehen sie in die Knie. Ingo Schröer spielt herrlich komisch, mit stets schief sitzender Perücke speit er ambitionierte Parolen: "Ich bin ein Mann des Staates."
DICHTENDER DORFDEPP
Seine Tochter Sabine will er unbedingt mit Herrn Sperrling verheiraten, der mit Lockenkopf und Slapstick-Stolpern an einen dichtenden Dorfdepp erinnert. Dabei liebt Sabine doch den blonden Fremden Fritz Olmers. Ziemlich verwirrend, aber auch sehr lustig. Die Ensembles von theater24 und Strahlern reichern den in Vergessenheit geratenen Klassiker mit übertrieben vorgetragenen Volksliedern aus Albert Lortzings komischer Oper "Hans Sachs" an und kreieren daraus das Genre "Trashical". Kotzebues Kritik an kleinbürgerlicher Ignoranz wird mit heutiger Vorliebe für triviale Unterhaltungskultur modernisiert.
RAMMELORGIE
Als Olmers fälschlicherweise für den König gehalten wird, tauscht er sein T-Shirt mit der Aufschrift "Kulturende" gegen Anzug und gelb-perückigem Hansi-Hinterseher-Look. Während der Bald-Bürgermeister in bayerischer Tracht und Tochter Sabine mit dicken Flechtschnecken leben, kommt die Magd in High Heels und Netzstrumpfhose daher, der Schneider in roter Glänzejacke und Schlaghose. Trash ist eben auch ein wahlloser Mix der Stile. Schmierige Balladen treffen auf Hardrock, beim klassischen Schuhplattler wird der Hintern geklatscht und die süße Liebesszene zwischen Sabine und Fritz von einer clownesken Rammelorgie zwischen Magd und Schneider konterkariert. Meisterhaft entblößt Regisseur Karsten Schönwald die spießbürgerliche Fassade seiner Krähwinkler in ihrer ganzen komischen Lächerlichkeit. Herrlich!
POINTEN-AUFRUHR IN KRÄHWINKEL
Brigitte Schmitz-Kunkel in: Kölnische Rundschau (22.01.13)
Die Stühle rund um die Spielfläche, darüber Girlanden und Luftschlangen - beim anstehenden Fest gehören die Zuschauer mit zu Krähwinkel, das sich dank der Geburt seines 2000. Bürgers Hoffnung macht, vom Dorf endlich zur Jüngsten Stadt im schönen Heimatland" aufzusteigen. Oder anders herum gefragt: Ist Krähwinkel vielleicht überall?
Singen können sie jedenfalls nicht, „Die deutschen Kleinstädter", die da frohgemut aufmarschieren. Karsten Schönwald (theater24) hat die 1802 uraufgeführte Komödie des längst vergessenen Bühnenvielschreibers August von Kotzebue mit dem Ensemble Strahler 11 als „Trashical" inszeniert. Im Kunsthaus Rhenania setzt er nicht nur mit Kostümen zwischen historisierendem Jäger-Janker und Neonleggings auf gut dosierte Verfremdung, sondern auch musikalisch. Zitiert wird eine bei Albert Lortzings komischer Oper „Hans Sachs" entlehnte Bearbeitung, die Paul Hensel-Haerdrich 1934 mit der Handlung Kotzebues versah Wer das kompliziert findet, der sollte sich erst recht konzentrieren, wenn es in Krähwinkel in schönster Boulevard-Verwechslungs-Manier drunter und drüber geht.
Die Stadterhebung soll nämlich nicht nur mit der seit Jahren vertrödelten Zurschaustellung einer Kuhdiebin gefeiert werden, sondern auch mit der Verlobung von Sabine. Das Töchterlein des ehrgeizigen Bürgermeisters will aber partout nicht den für sie erwählten Bau-Berg- und Weginspektors-Substitut Sperling ehelichen, sondern Fritz Olmers aus der Residenzstadt. Das kann natürlich nicht angehen in dem Nest, in dem Klatsch und Tratsch, Titelsucht und Dünkel, Spießermief und doppelte Moral regieren.
Dass Kotzebues Satire erstaunlich frisch ist, beweist das zehnköpfige Amateur-Ensemble mit präzisen Pointen und einer Fülle von szenischen Einfällen, die - einziger Makel -den Abend arg lang machen. Wie sich Karin Bünnagels verstockte Sabine in einen Cancan-Rausch hüpft, wie sich Ingo Schröers Bürgermeister mit ewig verrutschender Perücke in Fremdwörtern verheddert, Susanne Königsmann als Frau Unter-Steuer-Einnehmerin beleidigt ihren Rang verteidigt, die aufgekratzte Dorfgemeinschaft in eine kollektive Schuhplattler-Formation á la Bollywood verfällt und sich aus Geltungssucht am Ende endgültig verschaukeln lässt, ist rasend komisch gespielt. Und es ist als Karikatur von Unterwürfigkeit, Vetternwirtschaft und Intoleranz richtig böse. Wie die deutliche Unterströmung der daraus resultierender Gefahr, wenn etwa der Bürgermeister zum Toast „heil dir. heil mir, heil uns!" anhebt.