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theater24 - freies Ensemble der performativen Künste

WAS IHR WOLLT von W. Shakespeare (Köln, 2010)

MERCIER & CAMIER - Dramatischer Versuch einer szenischen Lesung des gleichnamigen Romans von Samuel Beckett (Erlangen, 1992)

FUGA von S. Lohuizen (Köln, 2018)

DAS LEBEN EIN TRAUM von Calderon de la Branca (Stralsund/Greifswald, 1998)

BACK@ONLINE - Theatercollage nach Texten von S. Beckett (Köln, 2001)

KUPRIJANOV UND NATASA von A. Vvedenskij (Erlangen, 1992)

DIE NYMPHE: MNEMOSYNE: - Digitale Edition und Interpretation aller "fünf" Strophen von F. Hölderlins gleichnamigem Fragment (YouTube-Livestream, 2021)

DIE DEUTSCHEN KLEINSTÄDTER - Trashical nach A. Kotzebue (Köln, 2013)

PARTY MIT PROGRAMM - Russische Absurde und Jiddische Musik (Erlangen, 1993)

POLAROID von Dittgen/Gründel (Köln. 2011)

AMPHITRYON - Theatermontage nach Texten von Plautus, Molière, Dryden, Kleist, Giraudoux, Kaiser, Hacks (Erlangen, 1991)

DIE NACHT KURZ VOR DEN WÄLDERN von B.-M. Koltès (Köln, 2008)

Das Tagebuch des Verführers

nach einer Idee von Sören Kierkegaard

Das „Tagebuch des Verführers“ besteht bei Kierkegaard im Ursprung aus einer Sammlung von Aufzeichnungen, Briefen, Anekdoten und Betrachtungen, die eine gesellschaftlich bedeutende Persönlichkeit namens JOHANNES als Spuren seiner erotischen Eroberung von CORDELIA WAHL im Privaten hinterlassen hat. Minutiös sind all die geheimen Momente der Liebe geschildert, in denen bzw. wie ihm das Objekt seiner Begierde ins Netz geht. Das ungleiche Spiel der Akteure fesselt im leidenschaftlichen Aufeinanderprallen absolut verschiedene Charaktere, den erfahrenen Liebhaber und die jungfräuliche Braut.

Gleich einem Wissenschaftler entwirft der Protagonist eine Reihe erotischer Situationen, in denen allein die Bereitschaft zur Versuchung erforscht werden soll. Der Liebe voll zur Aufgabe ihrer Familie, ihrer Person getrieben, bleibt der Antagonistin nur noch die Flucht, auf der sie aber dann auch vom Verführer verlassen wird. Was in Handlung umgesetzt einerseits zur Tragödie des Verlusts bei der Verführten führt, mündet bei dem Verführer andererseits in die Komik des Verrats. Das Groteske ist hier gleichzeitig verstanden als produktionsästhetisches Gestaltungsmittel sowie poetologischer Gattungsbegriff. Der daraus resultierende Stil deshalb rhapsodisch. Die Vielfalt möglicher Abenteuer beschwört eine Defragmentierung des Mythos herbei.

Der Versuch, in der Forschung neue Wege zu beschreiten, ist allgemein an die rücksichtslose Einsicht in das notwendige Geschehen des Wandels gebunden. Bestimmt ist infolge damit der Verlust des Gewohnten und die Versuchung groß, sich lieber über tatsächliche Zustände hinweg unterhaltend zu täuschen, um dementsprechend mit der scheinbaren Dauer bestmöglich seines Werdens versichert zu sein, als der Banalität, dass ursprünglich nichts für immer existiert, wirklich ins Auge zu schauen.

Im besonderen zeigt sich dieses Phänomen am Bild des Verführers: Don Juan bedient sich ebenso methodischer Vorgehensweisen, um die Gunst seines Objekts der Verführung zu erfahren; wie der Wissenschaftler, der die Welt systematisch auf ihre Qualitäten prüft, um Aussagen über die Grundbedingungen des Daseins zu erhalten. Beides geschieht wesentlich mit der Absicht, die eigene Existenz zu sicher; beides erscheint im Zweifel an der Aussicht auf Erfüllung dieser Wirklichkeit absurd und fragwürdig zugleich. Indem die Verführung zur Versuchung wird, entscheidet der Versuch in den Verführer und die Verführte. Inwieweit Täter und Opfer dabei eine Einheit bilden oder sich bloß vom ganzen übrigen Prozess abgrenzen wollen, entzieht sich aber dem Urteil. Aber mit Sicherheit ist auch tabuisierte Erotik im Spiel.

Mit dem „Tagebuch des Verführers“ verbunden ist bei Kierkegaard zugleich die existenzphilosophische Deutung des Menschlichen als „innerweltlich“ bestimmte Ganzheit. Aufgehoben im Weltgeist Hegels entging der Philosophie nach Kierkegaard die gegenwärtige Wirklichkeit des alltäglichen Lebens. Ebenso hatte sich nach ihm die Religion der Kirche von den Menschen entfernt; weswegen er sich einer nahezu polemischen Sprache bemächtigte, die – im Reflex auf alltäglich erfahrener Leidenschaft – frenetisch von der Kanzel die Existenz des Lebens predigt. Das eigene Selbst wird somit zum absoluten Schauplatz subjektiver Wahrheit.

Da es sich beim „Tagebuch des Verführers“ von Sören Kierkegaard jedoch um einen reinen Prosatext handelt, wäre für eine öffentliche Vorstellung als abendfüllendes Schauspiel das auf der Bühne gesprochene Wort noch zu erfinden. Dazu soll als textliche Vorlage eine Montage dienen, die sich zum einen aus dramatischen Bearbeitungen rundum Don Juan als thematischen Attraktor zusammensetzt und zum anderen Kierkegaards dargestellter Fabel folgen würde. Durch Improvisationen und szenisches Arbeiten könnte beides zu einer Spielfassung verschmelzen werden, die dann der Vorstellung zugrunde liegt. Einerseits wäre somit der Text eine Montage rund um die Figur von Don Juan, andererseits wären die Bühnenfiguren selbst in die Handlung involviert, indem sie ihre eigene Sprache entwickelt hätten. Kontrastiert diese Adversationen den Zuschauer entweder oder ist der Müßiggang des Schauspielers aller Lasten Anfang.

Dabei ist zu beachten, dass dann die Spielfiguren im Wesentlichen nicht aus der Feder „eines“ Autors stammen, sondern aus verschiedenen Fragmenten bestehen. Hierdurch soll der Zersplitterung der Persönlichkeit in die unterschiedlichsten Rollen des alltäglichen Lebens deutlich Rechnung getragen werden. Damit jedoch die Figuren auf der Bühne nicht bis zur Bedeutungslosigkeit in sich zerfallen, soll in interdisziplinärer Auseinandersetzung dem ReizReaktions-Schema als psychologisches Paradigma realistischer Schauspielkunst eine Theorie der Methode gegenüber gesetzt werden, die im Grunde von lebensphilosophischen Begriffen (wie Angst, Sorge, Ekel, Zorn usw.) geleitet ist. Dem beseelten Selbst der Figur wäre eine Definition gegenüber gestellt, in der die intervenierende Variable jener behavioristischen Blackbox-Psychologie allein als Phänomen quantenmechanischer Gesetzmäßigkeit erfasst wird.

So verlangt diese Inszenierung, neben den üblichen Produktionsprozessen in der Proben- und Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere das Verständnis zum paradigmatischen Wechsel in der Arbeit mit dem Schauspieler. Da seine zu verkörpernde Figur zum einen eine literarische, zum andern eine multidramatische Person darstellt, bedarf es besonderer Übungen, um auszudrücken, dass nichts unmöglich ist, außer die Möglichkeit selbst. Ein solches Axiom kann ein psychologisches Theater nach Stanislawski jedoch nicht vorstellen. Selbst die Brechtsche Verfremdung findet keinen gesellschaftlichen Bezug. Und die Psychologie Artauds wurzelt zu sehr im Schock des Pyote. Dem Atomismus aller Anlehnung an Wissenschaftlichkeit gegenüber steht hier die Vorstellung von einem sich selbst besorgendes Sein. Die interdisziplinäre Anwendung wissenschaftlicher Verfahrensweisen durch Theaterschaffende soll darstellen, wie mittels einer qualitative Analyse der Arbeitsmethoden im Theater kreatives Potential erschlossen werden kann, das aufgrund ideologischer Unentschiedenheit bislang nicht aufbereitet werden konnte und daher der ästhetischen Erfahrung entging.

Im Zeitalter globaler Vernetzung ermächtigt das Passwort den medialen Zutritt zum privaten Bereich einer virtuellen Person. D.h., wenn zur Verkaufsförderung in den Medien mit Erotik gehandelt wird, wenn Schutz der Privatsphäre zugleich Aufgabe des Individuellen bedeutet, wenn im Grunde der Gesellschaft ein verführerisches Grundrauschen herrscht, wo trifft dann Don Juan sein Objekt der Begierde heute?

Durch den interdisziplinären Charakter des Projekts soll vor allem ein junges Publikum angesprochen werden, was zum einen aufgefordert wäre, sich auf neue, ungewohnte Sichtweisen einzulassen, zum anderen vom Theater sowohl Unterhaltung und Vergnügen erwartet, als auch Zerstreuung wie Ablenkung sucht. Selbstverständlich werden sich ein Kritiker und ein Liebhaber des Boulevardtheaters höchst selten in der gleichen Vorstellung begegnen.

Aufgrund dieses Charakters ist das Projekt auf ein breites Publikum ausgerichtet. In Seminaren oder Workshops könnten nach Interessen einzelne Aspekte der daseinsanalytischen Untersuchung über den Begriff Sorge als Paradigma zur Entwicklung einer Schauspielkunst im Zeitalter postmoderner Ästhetik vorgestellt werden. Die Montagetechnik als produktionsästhetisches Gestaltungsmittel profitiert insbesondere aus den Erfahrungen, die im Schatten unserer aufgeklärten Sozietät im Internet existieren.

Dieses Projekt richtet sich also an Theatergänger, die zum einen Interesse für klassische Stoffe haben, zum anderen Vergnügen und Unterhaltung wünschen. Angesprochen werden sollen aber auch Randgruppen, die vielleicht sonst nicht so ohne weiteres ins Theater gehen würden. Themen, wie Lust, Erotik, Leidenschaft sind im Beisein der Liebe von dramatischem Potential.