Regiebucheinträge

13.2.2019 – Kostüm

Ich glaube, dass wir uns beide darin einig sind, dass wir keine Verkleidung wollen, also keine Kostüme, die in irgend einer Art und Weise eine Rolle vorgeben. Für mich sind die Akteure hier in erster Linie Artisten, vergleichbar mit Musikern, die die Aufgabe haben, eine Partitur präsentieren. Daher auch gleich zu Beginn der artistische Baum-Auftakt. Ich denke, wenn hier überhaupt von einer Verkleidung zu sprechen ist, dann eher Richtung Trikot, denn Kostüm, das eher den Aufgaben-Charakter, denn eine soziale Rolle hervorhebt.

16.2.2019 – Textverständnis ARTAUD

Um die nächste Probe zu intensivieren, ein paar kurze Notizen zum Textverständnis vorab.

Ich glaube, um solche Ungeheuerlichkeiten wie „ausspucken … NICHT AUSFURZEN … Welt analer Ruhr … Sünde der Vulva … 2 Hoden“ mit voller Überzeugung raus-hauen zu können, ist es wichtig, eine ungefähre Vorstellung von dem zu haben, was damit gesagt wird.

„ausspucken … NICHT AUSFURZEN“
Augenfällig als erstes ist hier eine potenzierte Synästhesie, d.h. eine Steigerung gegensätzlicher Sinneseindrücke (roter Schrei, ruhige Farbe usw.), die sich dem einfachen Verständnis widersetzt. Denn Atem wird eigentlich nicht ausgespuckt. Atem ist Luft, kein Wasser. Um damit versöhnt zu sein, ist Leben notwendig – sowohl körperliches wie geistiges Leben. Ein Atem, der sich in Körper verwandelt und doch allein im Geiste wirkt, da dieser nicht windet, nicht der organischen Verdauung unterworfen ist.

„Welt analer Ruhr“
Artaud ist an Enddarmkrebs gestorben. Mit diesem Wissen bekommen Redewendungen bei ihm wie „von Innen aufgefressen“ und die Fokussierung auf Bereiche, die unterhalb der Gütelinie liegen einen konkret-schmerzhalten Bezug. Dass diese „Welt analer Ruhr“ auch noch die einzige ist, die „uns gehalten hat und die uns hält“ korrespondiert mir einem anderen seiner Aussprüche: „Dort, wo es nach Scheiße riecht, riecht es nach Leben.“ Fäkalität ist hier in einem außermoralischen Sinne verstanden.

„Sünde der Vulva“
Nicht das Tor der Empfängnis als solches ist sündig, sündig ist die Folge, die geborene Welt. Es ist diese schmerzhafte Paradoxie des Geistes, der unbedingt den Körper bedarf, um sich seiner selbst zu gedenken.

„2 Hoden“
Hier manifestiert sich die Anwesenheit des Nichts, des unausgesprochenen Dazwischen.

Artaud zu verstehen, also rein rational zu entschlüsseln, ist meiner Meinung nach nahezu unmöglich. Und dennoch spricht er Themen an, die gesellschaftliche Tabus zur Sprache bringen. Für mich resultiert gerade aus dieser radikalen Gegenübersetzung der Extreme sein poetischer Funke.

26.2.2019 – Anmerkungen Durchlauf

Unser Beitrag ist 8.30 min lang. D.h., ihr braucht zwischen den einzelnen Bildern nicht zu hetzen, sondern nehmt euch für die Übergänge die Zeit, die ihr braucht und verliert den weihevollen Anlass nicht aus den Augen. Wie gesagt, achtet auf einander, stimmt eure Bewegungen auf einander ab, vielleicht findet ihr Momente, wo ihr eure eigene Bewegung in Beziehung zu äußeren Bewegungen bringen könnt (wie beim Tanz). Vielleicht ist es besser, einen Augenblick zu warten. Vielleicht lassen sich manche Bewegungen auch synchronisieren. Alles, sowohl die Bilder wie die Übergänge, gehört zum traditionellen Ablauf des Rituals.

In diesem Sinne werden wir auch den Auftritt ändern: es kommen wieder 2 von links und 2 von rechts. Denkt dabei daran, dass das Folgende das bedeutendste Ereignis im Leben der Vestalinnen ist. Ihr seid auserwählt und der Opferung für würdig befunden worden. Ob ihr euch freut, ob ihr aufgeregt seit oder Respekt vor der Aufgabe habt, bleibt euch überlassen. Es ist euer Geheimnis. Tretet also dem Ereignis angemessen auf, legt euch hin, noch einmal tief Luft holen und/oder zählt im Geiste 21 22 23 und lasst dann den Samen keimen.

Baum
  • Blicke ins Publikum, wenn Baum steht, wie Artisten zum Abschluss ihrer Nummer
  • stehendes Bild mit Streckung (Arme, Körper, Beine) festigen, auch wenn das der Standsicherheit wegen (Einwurf Vanessa) nicht vollends möglich ist, ihr solltet aber ein Bild davon im Kopf haben

Kiki→ die Schlange darf ruhig deutlicher „naturalistischer“ hervor treten, vielleicht durch schlängelnde Bewegungen, dir wird schon was einfallen Blickrichtungen: Vanassa → Rosalie → Kiki →Lara → in den weiten Raum hinter Kiki Rosalie → Kopf zum Zuschauer Kiki → Variante ausprobieren: nicht Rücksondern Vorderseite zum Publikum und freien Arm höher nehmen Bild an Bühnenmitte und linear ausrichten Bühnenmitte Bühnenmitte

Nehmt euch Zeit für den Abbau des Baum-Bildes. Ich denke 10 Sek. länger dürfte das Gewicht noch zu tragen sein – oder nicht?

Schlange

In dem Moment, wo eine jede von euch aus dem BaumBild heraus tritt, ist sie Schlange.

Durch die Windung um die eigene Achse (Kiki) wollte ich Nicht-Alltäglichkeit herstellen und vermeiden, dass es nach „Schlafen“ aussieht (Lara)

Kiki → du liegst als erste und gibst damit vor, wo sich die anderen hin platzieren, wichtig für Position des nächsten Bildes

Verführung

Blickrichtungen:

Vanassa → Rosalie → Kiki →Lara → in den weiten Raum hinter Kiki

Rosalie → Kopf zum Zuschauer

Kiki → Variante ausprobieren: nicht Rücksondern Vorderseite zum Publikum und freien Arm höher nehmen

Bild an Bühnenmitte und linear ausrichten

Apfel

Übergang: Versuchung → Apfel, wer muss aufstehen, wer geht, wer robt, wo gibt es Gemeinsamkeiten? Lassen sich gemeinsame Rhythmen finden? Nicht den Zusammenhalt verlieren.

Müssten wir ausprobieren, ob Bild so bleibt oder ihr in gleicher Haltung, aber auf den Füßen zusammen hockt.

Erkenntnis

Rosalie → Arme zum nach oben hin offenen Kreis gebeugt, mit dem Kopf als Zentrum, ohne sich dabei zu strecken, dann hast du auch mehr Kraft für die Stimme, fester Stand, Füße parallel. Auch wenn du zwischen den Zeilen kurze Zäsuren machst, die Sätze folgen gedanklich auf einander, also stimmlich die Spannung halten, eventuell sogar aufbauen.

Vanessa → erstes „weiter nichts ...“ noch auf den Knien, Hände am Kopf, dann mit Text-Wiederholungen langsam zum Liegen kommen

Kiki → mal ausprobieren, ob du mit Wiederholungen von „kurzer Atem … langer Atem“ dazwischen kommst

Lara → „weiter nichts ...“ als Echo auf Vanessas letzten Atemzug

Scham

Bild „Erkenntnis“ langsam und asynchron auflösen. Bedenkt, ihr seid nackt, entblößt, verletzlich

Lara → nach „als ich“ kurz Pause. Gibt dann mit „Aber schließlich“ Stichwort für Übergang in Bild >Scham<, Stimmlage, wenn möglich, noch tiefer (de profundis), legt sich mit „was ist das“ und beschützenden Armen auf Kiki/Rosalie

Text „Das ist…. NICHT AUSFURZT“ könnte fragmentiert werden. Müssten wir ausprobieren.

Das ist,
wenn man ganz
mit sich versöhnt
ist,
mit dem Atem,
den man ausspuckt
und mit dem,
den MAN NICHT AUSFURZT.

Strafe

Bild >Scham< bleibt stehen.

Rosalie → „Denn ich...“ noch im Pulk, wächst durch „habe genug von der“ bis zum Endpunkt der Bewegung „Welt“ aus der Gruppe heraus. Kannst den Satz ruhig ziehen, also immer kurze Pausen zwischen die Wörtern lassen, aber dennoch die Spannung dazwischen nicht verlieren. Nach „Welt“ längere Pause. Dann müsstest du mal ausprobieren, womit du besser klar kommst: ob erst die Teilung, dann „und der Frage“ oder erst der Satz und dann die Bewegung. Erst dann zerfällt die Gruppe in den Schmerz

Schmerz

Bild >Schmerz<

Die vier Zeilen von Text „und dennoch… verwurzelt“ aufgeteilt, jeder hat eine Zeile. Müht euch mehrmals daran ab. Zuerst nacheinander, dann zunehmend polyphon, musikalisch im Stile einer FreeJazz JamSession. Das darf in den Ohren richtig weh tun, aber dabei auf „Verständlichkeit“ achten, also zunächst Raum für den anderen lassen, dann auch überlagernd und von der Lautstärke her anschwellend. Kurz vor dem lautesten Ausschlag: plötzliche Ruhe. Pause.

Die Arme wachsen als Flammen aus euch heraus, begleitet vom Text „Denn das… zu wollen“. Zunächst jeder für sich und intensiver werden, dass es zum Schluss in einem Satz chorisch gesprochen am lautesten ist.

Alle 8 Arme, die sich dabei aufgerichtet haben, (zum Teil ganz, wie auf dem Bild, zum Teil nur soweit wie möglich), bleiben zum Schluss empor gehoben oder fallen nach letzten Satz in sich zusammen. Müssten wir ausprobieren.

Ich habe mal versucht einzuzeichnen, wo sich euer bislang verdeckte Arm befinden könnte.

Um all dieses umzusetzen, bräuchten wir noch bestimmt 3-4 Proben, vielleicht sogar mehr, die wir jedoch nicht haben; aber darum geht es nicht. Bei einer so kurzen Probenzeit kann das Ergebnis nicht perfekt sein, sondern wird immer eine Skizze bleiben. Wichtig ist mir aber, dass ihr eine Vorstellung von dem habt, wie das Ergebnis aussehen könnte. Ich glaube nämlich, dass sich eure Vorstellung dann auch auf die Zuschauer überträgt. Denn darum geht es, dass die Zuschauer eine Vorstellung von dem bekommen, was die Skizze nur andeuten kann.

Auch glaube ich, dass die Zuschauer nach wie vor „Menschen“ auf der Bühne sehen wollen, die bereit sind, sich dem Versuch des Un-Möglichen, der Versuchung, dem Scheitern, dem Untergang an ihrer statt heldenhaft aussetzen. Zumindest beurteile ich den Wert von Theatervorstellungen danach: Ob die, die es machen, es wirklich ernst damit meinen oder nicht. Das soll nicht heißen, dass man Theater auch nur zum Spaß machen kann. Dann wäre halt das „Spaß machen“ ernst zu nehmen. Am spannenden finde ich es, wenn Menschen auftreten, die bereit sind, Risiken auf sich zu nehmen, die mutig und tapfer genug sind, um in die Abgründe in sich selbst zu blicken, Ungewissheiten heroisch auf sich nehmen und diese Unsicherheit öffentlich machen. Und das macht ihr hervorragend!!! Nicht als privater Seelen-Striptease jener Experten des Alltags, sondern als Akteure, Musiker, Artisten (daher das erste Baum-Bild), die sich ohne Netz und doppeltem Boden ihren Aufgaben gewissenhaft annehmen (wie z.B. der traditionellen Choreographie des Rituals nachzukommen [ok, die haben wir uns ausgedacht, aber macht das einen Unterschied?]) und so dem Chaos, das in jedem Moment um uns ist und hervorbrechen kann, durch den Willen zur Bewältigung jener Unwägbarkeiten heroisch die Stirn bieten. Selbst wenn wir noch 3-4 Proben mehr hätten, an dieser Annahme würde sich nichts ändern.

28.2.2019 – Licht

.... wegen dem Licht bin ich ganz deiner Meinung, es sollte schummerig sein. Wenn ich unser Setting in die Realität übertragen würde, könnte ich mir vorstellen, dass sich die Szenerie nachts abspielt, tief im finsteren Wald versteckt, auf einer Lichtung, die nur vom Fakelschein beleuchtet wird. Um diese Atmosphäre auf die Bühne zu bringen, hätte ich folgende Idee: Die Akteure der Welle sind mir 3 Taschenlampen bestückt, von denen sie 2 in den Händen haben und 1 umgehängt, so dass ihr Gesicht von unten beleuchtet wird. Dadurch, dass sie immer leicht nach vorne gebeut sind. müsste das gehen. Mit den Taschenlampen in den Händen könnten sie nach neuen Opfern im Zuschauerraum suchen und anschließend die Aktion in der Mitte beleuchten. Im Hintergrund läuft ein Loop, wo Sequenzen aus Feuerwerk, Flammeninferno und Atellerieblitze zusammengeschnitten und mit Filtern stilisiert wurden (schwarz-weis und z.B. verpixelt). Das Quellmaterial sollte nicht oder erst auf den 2-3 Blick wieder zu erkennen sein und bloß als Flackern dienen. Auch hätten wir damit wieder indirekte Beleuchtung.

Was meinst du? Du kennst dich mit den technischen Gegebenheiten der RüBühne besser aus. Ist die Idee umsetzbar?

11.3.2019 – Anmerkungen HP

Hier der Link zu den Anmerkungen. Schicke den auch noch mal per Mail

… also, viel Neues zu sagen, gibt’s eigentlich nicht, vielleicht mehr zu erinnern, was ich bereits in den Anmerkungen zum Durchlauf geschrieben habe:

Akrobatischer Baum:
Ich kann schwer beurteilen, wie groß die Last ist, die Lara und Vanessa zu tragen haben. Aber vielleicht wäre Rosalie ein etwas eleganterer Abstieg möglich, irgendwie geführter, gerade bei dem letzten Stück. Damit wäre das Gewicht dann insgesamt etwas 2-3 Sek. länger zu halten. Ob das möglich ist??

Erkenntnis
Kiki: So, wie du „kurzer Atem, langer Atem“ gemacht hast, war von die Intensität her genau das, was es braucht. Aber leider nur 2x und nicht 3x wiederholt. Durch das 3malige Wiederholen ergibt sich aber ein Rhythmus, den Rosalie aufgreifen kann. Vielleicht würde es dir helfen, wenn du dir (wie beim Raumlauf) die Intensitätsstufen bewusst machst. Also 1tes Mal=3 // 2tes Mal=6 // 3tes Mal=11 ;-))

Verführung
Rosalie, es ist schade, wenn du hinter Lara zu liegen kommst, da der Zuschauer dann dein Gesicht nicht sehen kann. Ihr hab die Zeit, um euch richtig zu positionieren, dass du also mit deinen Kopf auf Laras Oberschenken zu liegen kommst und der Zuschauer so deinen Blick zu Kiki sehen kann.

Scham
Auch hier gilt, was ich schon zum Durchlauf bemerkt habe, dass sich nämlich bei der Scharm Lara auf Rosalie legt, wie das Feigenblatt auf´s Genital. Ist der Bildlogik wegen wichtig. Also Abbau der Göttin nach Laras „Nichts weiter als ich“. Dann, Lara, kurze Pause, so, wie wenn man über die Einsicht, die man bekommt, schlucken muss, es einem fast die Sprache verschlägt. Dann mit „Aber schließlich …“ Rosalies Abbau begleiten und mit „… was ist das“ auf den anderen zu liegen kommen, wobei sich deine Arme schützend über die Gruppe legen.

Kanon-Chorus
vielleicht könnt ihr während des Sprechens den einen oder sogar beide Arm langsam und der steigernden Intensität abgepasst nach oben wachsen lassen - mit einem offenen Griff zu den Sternen enden am Schluss – freeze.